Nachdem ich die Limousin-Rinder in Linden und die Highland-Cattle in Hagau auf ihren Weiden besucht hatte, war es diesmal umgekehrt. Ich war schon dort und wartete mit Spannung auf die Ankunft der heutigen Protagonisten: Murnau-Werdenfelser!
Eine durch und durch bayerische Angelegenheit. Das beginnt mit der Stammheimat der Rasse. Sie liegt im Werdenfelser Land, im Alpen- und Voralpengebiet um Garmisch-Partenkirchen, Mittenwald, Oberammergau und Murnau sowie im Karwendel- und Wettersteingebirge. Und setzt sich fort mit der Winterresidenz der Tiere meiner Slow Food-Freunde Ulla und Franz Eller. Sie verbringen die kalte Jahreszeit nämlich in den Stallungen des Wittelsbacher Ausgleichsfonds im Gut Rohrenfeld (ca. 10 km östlich von Neuburg a. d. Donau). Am 19. April war es endlich soweit: Der Weidegang stand an! Bei alles andere als frühlingshaften Temperaturen. Mit 4 Grad erreichte die Jahreszeit 2017 tatsächlich ihren Tiefstwert.
Vor dem Einlaufen. Und es wurde ein Einlaufen! Die Weide bei Rohrenfels (ca. 10 km südwestlich von Neuburg a. d. Donau):
Zum Drehbuch: Die Ankunft – in drei Akten. Die Herde versammelt sich in einem mit Gittern abgesicherten Koral. Dann wird sie in einen größeren, aber noch mit Leinen abgegrenzten Weidebereich entlassen. Schließlich geht es ins offene Land.
Ankunft. Erster Akt (aus dem Anhänger/Erdgeschoss):
Der zweite Akt (aus dem Anhänger/Obergeschoss):
Der dritte Akt (aus dem LKW):
Der Koral wird geöffnet:
Was gibt es Wissenswertes zu ihrer Herde? Die Antworten der Ellers:
Rasse: Murnau- Werdenfelser
Eigenschaften/Gemüt: Robustes Dreinutzungsrind (Milch, Fleisch, Ziehen), harte Klauen (für steinigen und moorigen Boden), typisch bayerisch, freundlich aber distanziert
Größe der Herde: Zur Zeit mit Nachwuchs 31 Köpfe
Seit wann: 2007
Mutterkuhhaltung: Die Kälber erhalten die komplette Milch der Kühe Milch: Eine sehr Kappa-Kasein haltige Milch, die sehr wertvoll für die Erzeugung landestypischer Käsesorten wie Weißlacker, Romadur und Bergkäse ist
Weidezeit: Je nach Witterung in der Regel Mitte April bis Ende Oktober
Die Weide liegt wo: Landkreis Neuburg an der Staatsstraße von Neuburg nach Augsburg in Höhe der Ortschaft Hollenbach
Winterquartier/Laufstall: Im Gut Rohrenfeld, der Wittelsbacher Ausgleichsfond hat uns den alten Milchviehstall und Bergescheunen verpachtet
Zufütterung Sommer/Winter: Im Sommer wird nicht zugefüttert. Im Winter neben Heue gelegentlich Erbsenschrot oder Graskops
Zufütterung kommt woher: Erbsenschrot: Von Biobauer Mayer Franz-Joseph aus Preith, Graskops von den eigenen Flächen, hergestellt in Weißenburg
Fortpflanzung: Bis vor 2 Jahren mit künstlicher Besamung. Seit zwei Jahren haben wir von Züchterfreund Hans Angermeier aus Karlshuld für acht Wochen einen Leihstier
Schlachtalter/welche Tiere: In der Regel Ochsen mit mindestens 30 Monaten. Selten Kalbinnen, die nur geschlachtet werden wenn sie nicht tragend werden
Schlachtung wo: In einer kleinen biozertifizierten Schlachterei in Schäfstall bei Donauwörth, Markus Rossmann
Transport dorthin/von wem: Selbst in einem kleinen Viehänger
Schlachtung wann/wie oft: Ab November bis April. Die Tiere werden vor dem Schlachten mindestens 4 Wochen ausschließlich mit Heu und etwas Bruch gefüttert. Sie sollen im Stall bei Ruhe intramuskuläres Fett einlagern damit der intensive Rindfleischgeschmack sich abrundet. Durch den Entzug von Betacarotin (frisches Gras) verliert das Fett seine gelbliche Farbe und wird noch schmackhafter
Schlachtung von wem: Vom Chef – Markus Rossmann – persönlich. Die Tiere werden am Abend vorher nach Schäfstall gefahren, übernachten in einer Strohboxe und werden am nächsten Tag, nachdem der Tierarzt die Lebendbeschau gemacht hat, im Schlachthaus – nächste Türe – geschlachtet. In der Regel wird dort nicht mehr als ein Tier am Tag geschlachtet
Zerlegung/Veredelung von wem: Je nach Fettauflage werden die Schlachtkörper mindestens 14 Tage in der Kühlung belassen. Mit einem Kühlhänger fahren wir die Schlachtkörper zur Metzgerei Joseph Huber in Hundszell. Auch hier entscheidet der Chef persönlich, wie die Edelteile geschnitten werden
Wo im Verkauf: In der Metzgerei Joseph Huber und bei uns im Direktverkauf
Wo in der Gastronomie: Neuwirt in Neuburg (im Slow Food Genussführer)
Bio-Zertifizierung/Mitgliedschaften: Naturland zertifiziert und Slow Food Mitglied
Nebenerwerb/Vollerwerb/warum Rinderhaltung: Im Nebenerwerb. Egal ob alte Obstsorten, Gemüsesorten oder alte Tierrassen, immer haben Idealisten das Aussterben verhindert… Der Landkreis hat einen Beweider gesucht, da haben wir zugegriffen, da wir in der Rente Rinder halten wollten. In seiner Freizeit etwas der Natur zurückgeben, etwas für die Biodiversität machen und einfach nur Freude daran haben wenn Kälber mit aufgestelltem Schwanz über eine 40 ha große Fläche galoppieren – Lebensfreude pur
Kommt! ins Offene, Freunde!
Sommerpause … Am 22. Oktober ging es wieder ins Winterquartier.
Natürlich hatte ich diese wunderbaren Tiere nicht das erste Mal vor der Linse. Wer noch Lust hat: Erster Besuch 2007 und Stallweihe 2008. Stallbesuch 2012 mit frischem Nachwuchs. Öko-Erlebnistag in Neuburg 2013. Spielzeiteröffnung 2014 des Stadttheaters Ingolstadt. Öko-Erlebnistag in Neuburg und Weidebesuch 2014. Kesselfleischessen der Ingolstädter Slow Food Kochgruppe 2014.
Apropos Kochen. Das Murnau-Werdenfelser ist Archepassagier von Slow Food Deutschland. Die Arche des Geschmacks wurde ins Leben gerufen, um fast vergessene traditionelle Lebensmittel, die in Gefahr sind, völlig zu verschwinden, zu katalogisieren und bekannt zu machen, nach dem Motto: Essen, was man retten will.
Wo gibt es schon sowas?! Gesehen? Auf der Salami stehen tatsächlich Geburtstag (15.06.2008) und Geburtsort (Neuburg) des Tiers, von wem (Ulla und Franz Eller) und wo (Neuburg) es gehalten wurde, der Schlachtag (16.01.2017) und der Schlachtort (Schäfstall), der Metzger (Markus Rossmann) der diese ausführte, sowie der Metzger (Joseph Huber) der die Kuh wann (21.02.2017) und wo (Hundszell) zerlegte:
Und so kommt man in den Genuss:
Unsere Familienbestellung haben wir vergangenen Samstag abgeholt. Bei einem köstlichen Rindsragout (Danke Ulla!) beschloss ich (endlich) diesen Bericht zu schöpfen – allora!
Oder im Wirthaus. Dann sei von Herzen der im Slow Food Genussführer geführte Neuwirt (Anke und Karl Deiml) empfohlen:
In München hat man sich im Pschorr (ebenfalls im Genussführer) mit großer Leidenschaft dem Murnau-Werdenfelser verschrieben.
Die Herdensuche wird fortgesetzt. Hier
Ein wunderschöner Bericht über die wunderschönen Murnau Werdenfelser Rinder von Ulla und Franz. Was gibt es schöneres als Rinder mit vitalen Kälbern und zuzusehen wie sie sich entwickeln.